Wie wird sich die Neufassung der Personalverordnung auf die Situation in den Kitas konkret auswirken?
Angelika Brodesser: Die neuen Vorgaben schaffen eine riesige Verunsicherung: Ergänzungskräfte haben über viele Jahre gelernt, dass sie nicht allein verantwortlich sein können und dürfen. Nun ist die Situation plötzlich eine ganz andere. Gleichzeitig sendet die Änderung an die Fachkräfte erneut das Signal einer Geringschätzung ihres Berufs.
Welche Herausforderungen und Risiken sehen Sie für die Beschäftigten?
Angelika Brodesser: Ich rechne mit extremen Belastungen für alle Beteiligten. Da sind zum einen Menschen, die ohne abgeschlossene pädagogische Ausbildung oder Qualifikation in die Kitas kommen. Bei ihnen besteht die Gefahr, dass sie sich mit Pädagogik noch nicht tiefergehend auseinandergesetzt haben – und dass ihnen die Fähigkeit fehlt, das eigene Verhalten im Umgang mit den Kindern zu reflektieren. Zudem haben sie möglicherweise wenig Berufserfahrung. Wenn sie dann Entwicklungspläne schreiben oder pädagogische Konzepte ausarbeiten müssen, ist schnell die Überforderung da.
Wie steht es um die Fachkräfte, die bereits seit langem in den Kitas arbeiten?
Angelika Brodesser: Bei ihnen könnte das Gefühl entstehen, permanent einschreiten zu müssen, weil Kolleg*innen nicht angemessen pädagogisch handeln. Als Folge ergibt sich vermutlich, dass es ihnen endgültig zu viel wird und dass sie abwandern. Ich gehe also davon aus, dass wir weitere Fachkräfte verlieren.
Fallen Fachkräfte aus, will die Regierung mit der neuen Personalverordnung Kitaschließungen vermeiden. Steht die Verlässlichkeit des Betreuungsangebots für Eltern und Kind vor der Qualität der Erziehung und Betreuung?
Angelika Brodesser: Verlässlichkeit und Qualität sind gleichermaßen wichtig. Eltern brauchen eine sichere Betreuung, sonst können sie ihren Alltag nicht organisieren. Wir müssen ihre Sorgen ernst nehmen, gerade weil nicht jede Familie ihre Arbeitszeiten an die Betreuungssituation anpassen kann. Mit der neuen Verordnung besteht allerdings die Gefahr, dass der Aufenthalt in der Kita nicht mehr qualitativ hochwertig ist. Fachkräfte investieren viel Zeit in die Kinder. Gerade wenn Familien stark belastet sind, findet ein großer Teil der Erziehung in den Kitas statt. Doch wenn wir immer nur Brände löschen, können wir dieser Aufgabe nicht angemessen nachkommen.
Welche Auswirkungen ergeben sich daraus für die Kinder und die Gesellschaft insgesamt?
Angelika Brodesser: Ihnen fehlt langfristig nicht nur die kognitive Bildung, sondern insbesondere auch die Förderung im Bereich der sozial-emotionalen Entwicklung. Wir tragen in den Kitas dazu bei, dass diese kleinen Menschen gesellschaftsfähig werden. Unter den aktuellen und kommenden Bedingungen verlassen sie die Kita mit einem Gefühl des Nicht-Gesehen-Werdens und wechseln dann in das völlig überforderte System Schule. Damit legen wir den Grundstein für gescheiterte Bildungsbiografien.
Bietet die neue Verordnung auch Chancen?
Angelika Brodesser: Positive Aspekte sehe ich vor allem für die Ergänzungskräfte. Sie haben jetzt die Chance, durch die Qualifikation den Aufstieg zu schaffen und danach unter Umständen als Fachkräfte bezahlt zu werden. Sie können sich also weiterentwickeln, ohne eine bestehende Berufstätigkeit aufzugeben oder in ein klassisches Ausbildungsverhältnis zurückzumüssen. Hinzu kommt die Hoffnung, in Zukunft tatsächlich mehr Verlässlichkeit in der Betreuung zu erreichen. Das könnte Eltern motivieren, für mehr Qualität einzustehen.
Inwiefern?
Angelika Brodesser: Mir fehlt bisher der Aufschrei in der Elternschaft. Sie müssten eigentlich jedes Wochenende auf der Straße sein und gegen die Situation in den Kitas demonstrieren. Doch dafür haben sie keine Energie, weil sie seit der Corona-Pandemie ständiger Belastung ausgesetzt sind. Vielleicht führt die neue Verordnung dazu, dass sie gemeinsam mit uns kämpfen.
Welche Maßnahmen sind darüber hinaus geeignet, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen?
Angelika Brodesser: Die einzig wirksame Möglichkeit besteht aus meiner Sicht darin, massiv in Ausbildung zu investieren. Dabei brauchen wir vor allem mehr finanzielle Mittel für Träger. Aktuell sind sie in vielen Fällen nicht in der Lage, eine praxisintegrierte Ausbildung für zukünftige Fach- und Ergänzungskräfte anzubieten – also eine Form der Ausbildung, die Azubis von Beginn an eine finanzielle Vergütung bietet. Damit die Arbeit in den Kitas attraktiver wird, braucht es aber genau solche Möglichkeiten. Zusätzlich sollten weitere Klassenzüge an den ausbildenden Schulen geschaffen werden.
Was wünschen Sie sich von der Landesregierung?
Angelika Brodesser: Ich fordere die Landesregierung auf, die neue Personalverordnung zurückzunehmen und zusätzlich massiv in Programme für einen qualifizierten Quereinstieg in pädagogische Berufe zu investieren. Hier muss insbesondere die Finanzierung von Qualifikationen geklärt werden: Quereinsteiger*innen stehen in der Regel mitten im Leben – sie werden nicht ihre Berufe verlassen, um dann die Kosten für einen Quereinstieg als Ergänzungskraft selbst tragen zu müssen. Am Ende sollte der Landesregierung auch bewusst sein, dass deutlich höhere Folgekosten entstehen, wenn wir die Systeme Kita und Schule vor die Wand fahren lassen, als wenn wir jetzt in die Ausbildung der Fachkräfte investieren.